„Frau Schröer, können Sie auch mit Verstorbenen reden?“
– Lisa*, 6. Klasse
Lisa kann mit ihrem Opa reden. Ihr Opa ist vor Jahren verstorben.
Das erzählt sie mir immer mal wieder, einfach so zwischendurch. In den Pausen. Irgendwie scheine ich auszustrahlen, dass ich mich dem Thema verschrieben habe.
Sie fragt mich, ob ich sie für verrückt halte. Sie hält sich manchmal selbst für verrückt – fragt sich, ob sie vielleicht doch mit sich selbst redet. Ob sie einfach nur spinnt. Ob es vielleicht einfach nur Phantasie ist. Doch das geht seit Jahren so.
Lisa ist sehr reflektiert für ihr Alter, hinterfragt und nimmt verschiedene Perspektiven ein.
Sie kann nur mit wenigen Menschen darüber reden. Ihre Mutter hatte auch eine solch intensive Verbindung zu einer verstorbenen Person, hat diese aber verdrängt, abgebrochen. Ihre Mutter wurde dazu gebracht, „vernünftig“ zu sein.
Wenn Lisa davon erzählt, leuchten ihre Augen. Sie strahlt aus tiefem Herzen. Aber sie ist auch etwas traurig, denn in letzter Zeit scheint ihr Opa nicht mehr so richtig zu antworten. Er ist immer noch da, lächelt sie an, sie spürt ihn ganz real. Manchmal sieht sie ihn in ruhigen Momenten in ihrem Zimmer sitzen, manchmal berührt er sie auch im Alltag sanft an der Schulter.
Sie hat das Gefühl, als würde er sie unterstützen, doch ihr nun immer mehr Verantwortung für ihr Leben und ihre Entscheidungen übertragen.
Für mich ist das kein Zufall, dass Lisa in meiner Klasse sitzt. Ich habe sie schon in der Grundschule eine Zeit lang begleitet und sie ist mir in Erinnerung geblieben. Jetzt sind wir uns wieder begegnet und in solchen Momenten liebe ich meine Rolle als Religionslehrerin.
Ich höre zu. Staune. Verurteile nicht. Bestärke. Bin fasziniert von der Liebe, die sie in sich trägt. Von ihrer Weisheit.
Lisa beschäftigt sich schon in ihrem Alter viel mit Themen rund um Tod und Trauer. Und das nicht auf eine traurige, schwere Art sondern ganz leicht, unvoreingenommen. Anders. Ich habe das Gefühl, sie ist auch auf dieser Welt um der Thematik den Schrecken zu nehmen. Sie ist so jung und doch spüre ich, wir sind auf einem gemeinsamen Weg.
Würdest du Lisa für verrückt erklären? Ist so etwas gegen den Verstand, von dem geleitet du dein Leben lebst? Ist das alles kindliche Einbildung oder ist es eine Verbindung, die für rational denkende Erwachsene unzugänglich geworden ist?
Ich sage: Lisa, sprich weiterhin deine Wahrheit. Du bist nicht verrückt. Du erlebst es wie niemand sonst. Das ist so wertvoll. Du hast eine ganz besondere Gabe. Dein Opa ist immer noch bei dir, auch wenn er sich ein bisschen mehr zurückzuziehen scheint. Er sieht dich und hat Vertrauen in dich, dass du das alles schon gut machst.
Ich freue mich ganz ehrlich darüber, dass du dich mir anvertraust.
*Name geändert
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